„Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, dabei zu sein“, so lautet das Fazit von Laura Sipp und Anna Glöckner, zwei Jugendlichen aus dem Kettenheimer Grund, die mit 30 anderen Jugendlichen aus dem Alzeyer Land im Sommer an der Freizeit der Pfarreien Offenheim und Kettenheim teilgenommen haben. Dieses Mal ging die Fahrt vom 2.-7. Juli nach Berlin. Dort wurden noch am Ankunftstag bei einer Stadtrundfahrt bei Nacht bekannte Sehenswürdigkeiten wie das Brandenburger Tor angesteuert.

Fotos von Anja Krollmann

Vor dem nächtlichen Himmel wirkten die angeleuchteten Bauten besonders stimmungsvoll. 

Am nächsten Tag fuhr die Gruppe nach Babelsberg zu den Filmstudios mit Freizeitpark, wo sie durch die Kulissen einer Fernsehsendung geführt wurden und Attraktionen wie eine Stuntmanshow und ein 3D-Kino besuchen konnten. Abends ging es zum Ku’damm, der ehemaligen Innmeile Westberlins, die heute am Rand der Stadt liegt. Tags darauf besichtigten die Teilnehmer der Freizeit das ehemalige Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen im Osten Berlins.

Von außen wirkt es unscheinbar mit einem kleinen Wachturm, wenig Stacheldraht auf der Mauer und einem Schiebetor. Innen herrschten hingegen menschenunwürdige Zustände.

Im Gefängnis Hohenschönhausen saßen zur Zeit der DDR politisch Gefangene ein, das waren Bürger, die eine andere Meinung vertreten haben als die SED-Partei. Diese Menschen wurden ohne Prozess und Verurteilung oft mehrere Wochen oder Monate inhaftiert. Zuvor hatten Mitarbeiter des staatlichen Geheimdienstes – teils Nachbarn, Kollegen, vermeintliche Freunde – sie bespitzelt, um jedes noch so kleine Detail in Akten zu notieren. Ehemalige Gefangene führten die Gruppe durch die Anlage. Beim Gang durch Zellen, Verhörbüros, Kellertrakt und Innenhof schilderten sie, wie sie von der Straße weg oder aus dem Zug heraus in einen Lieferwagen gezerrt, in Dunkelheit und ohne Informationen abtransportiert wurden. In Hohenschönhausen kamen sie aus der Dunkelheit des Lieferwagens heraus in eine helle Garage mit Neonlicht. Dort empfingen sie Wärter. Alles im Gefängnis war auf Demütigung und Willensbrechung angelegt. Durch einen Flur mit Gittertür wurden die Gefangenen zur körperlichen Untersuchung geführt. Danach zwang man sie, Haftkleidung anzulegen, sperrte sie in Zellen. „Als ich ins Gefängnis kam, war ich nur noch eine Nummer“, berichtete einer der Zeitzeugen. „Den Namen musste ich an der Zellentür abgeben.“

 

Wer sich in der Haftanstalt wehrte, ausrastete oder um Hilfe schrie, kam in eine Gummizelle. Verhöre wurden täglich geführt. Dabei gab es Psychodruck, um weitere Informationen zu erpressen. Keine Minute waren die Gefangenen unbeobachtet: Jeder hatte einen als Zellengenossen getarnten Stasispitzel bei sich. Nur beim täglichen Sechs-Minutenspaziergang im zehn Quadratmeter umfassenden Innenhof herrschte Isolation. Doch auch über dem mit Maschendraht überdachten Hof stand ein Wächter mit Maschinengewehr. So handelte ein Staat an seinen Bürgern, der Angst vor deren Meinung hatte.

 

Einer der Zeitzeugen, der mit unserer Gruppe unterwegs war, kam nach Ende des 2. Weltkriegs in Haft. Damals hatten russische Soldaten ihn als ehemaligen Gruppenführer der HJ inhaftiert. Zweieinhalb Jahre saß er im Gefängnis, musste als 14-Jähriger Hunger, Kälte und Folter im Kellertrakt des Gebäudes erleben. Als Erwachsener hat er später gegen das DDR-Regime protestiert, dafür kam er acht Jahre ins Gefängnis. In der DDR seien die Haftbedingungen aber besser gewesen als kurz nach dem Krieg.

 

Das Gebäude in Hohenschönhausen war ursprünglich eine von den Nazis erbaute Großküche zur Armenspeisung gewesen. Zu Zeiten der DDR war das Gebiet, in dem das Gefängnis liegt, auf keiner Karte der Stadt verzeichnet gewesen. Die Bevölkerung sollte nicht wissen, dass es dort politische Gefangene gibt. Deren Existenz hatte die SED geleugnet. Auch die Lieferwagen, die mit Insassen ein- und ausfuhren, waren getarnt: als Firmenautos einer Wäscherei, Klempnerei oder Bäcker.

 

Beim Gespräch mit den Zeitzeugen konnten die Jugendlichen eigene Fragen stellen, zum Beispiel, wie sie damit umgehen würden, dass ihre Täter immer noch unbestraft sind: „Rache ist keine Lösung“, sagten beiden. „Das Leben ist zu kostbar, um sich mit Rache abzugeben.“ Eine Wiedergutmachung sei ihnen wichtig. Aber dafür müssten die Täter Einsicht zeigen, und das täten die meisten nicht. Viele seien nach wie vor überzeugt davon, dass sie gesetzeskonform gehandelt hätten. Bis jetzt leben ehemalige Mitarbeiter der Stasi in Wohngebäuden nahe dem Gefängnis, das nun eine Gedenkstätte und ein Mahnmal der Opfer der DDR-Diktatur ist.

An der Gedenkstätte Bernauerstraße zeigte Pfarrer Eric Bohn der Gruppe, wo die Grenze verlief, die einst die Stadt geteilt hat. Dort führt ein Infopfad am ehemaligen Todesstreifen der Mauer entlang.

Am Abend besuchten die Jugendlichen mit ihren Begleitern das Hard Rock Café und die Hakeschen Märkte, genossen das freie und pulsierende Treiben auf den Straßen der Stadt. „Berlin ist atemberaubend, so groß und nachts die Lichter der Gebäude, wirklich sehr schön. Nur habe ich noch nie so viele Leute gesehen, die kein Dach über dem Kopf haben,“ meinte Anna nach diesem Rundgang.

Ein Teil der Gruppe beim Abendspaziergang durch Berlin. Eine Nacht später ging es zum Sonycenter, wo alkoholfreie Cocktails geschlürft wurden.

Der dritte Tag führte die Gruppe zum ehemaligen Reichstag, dem heutigen Bundestagsgebäude. Dort empfing ein Mitarbeiter des Abgeordneten Klaus Hagemann die Gruppe, der den Jugendlichen Rede und Antwort stand. Später waren sie in der Kantine des Bundestags zum Mittagessen eingeladen. Danach durften alle auf die gläserne Kuppel rauf. Von der Kuppel aus genossen sie einen herrlichen Fernblick über die Stadt. „Am meisten beeindruckt haben mich das Brandenburger Tor und der Reichstag,“ sagte Laura, „die Sehenswürdigkeiten habe ich bisher nur aus den Medien gekannt.“

Am Nachmittag ging es zu Madame Tussauds, wo Wachsfiguren Prominenter zum Schnappschuss bereit stehen.

Die drei attraktiven Damen sind nicht alle aus Wachs, nur die in der Mitte. Die beiden anderen sind Selina Weinheimer und Doris Pfeiffer vom Betreuerteam. „Madame Tussauds war wirklich toll“, begeister-te sich Anna. „Auch die Betreuer haben Witz und sind nicht allzu streng.“

Am vierten Tag führten Pfarrerin Anja Krollmann und Pfarrer Eric Bohn ihre Mitreisenden in Berlins Unterwelt: die Besichtigung einer unterirdischen Bunkeranlage aus dem zweiten Weltkrieg stand auf dem Programm. Beim Gang durch originale Räume mit Stockbetten, Koffern, Trümmern, Gasmasken, Helmen, Waffen, Zwangsarbeiterkleidung und Bomben wurde schnell klar, dass nie wieder Menschen einem Krieg oder der Situation in einem Bunker ausgesetzt werden sollen. Nach dieser  Tour inmitten der Geschichte zum Anfassen gab es Zeit, an Geschäften entlang zu bummeln und sich zu erholen. Am Alexanderplatz unter dem Fernsehturm verbrachte die Gruppe den Nachmittag. Später ging es in den Berliner Dom und in die Gruft der Hohenzoller. Am Abend besuchten alle das Musical „Tanz der Vampire“ im Theater des Westens. Die restlichen Stunden bis Mitternacht verbrachten sie auf dem Ku’damm, bevor es am nächsten Tag nach Hause ging. Offensichtlich hatte Berlin allen gefallen, so lautete das Fazit von Laura:

 

„Ich war ja schon einmal mit der Pfarrei auf Jugendfreizeit in Rom und jetzt in Berlin. Ich würde gerne wieder mitfahren, weil wir immer Spaß haben und Regeln, an die wir uns halten müssen. Wir dürfen trotzdem etwas für uns machen und haben Zeit, Dinge selbst zu erkunden – und wenn es nur Kleider- oder Schuhläden sind. Ich habe dieses Jahr zwei Freundinnen mitgenommen, wir hatten unglaublich viel Spaß.“

 

Im kommenden Jahr findet die Freizeit für Jugendliche der Pfarreien Kettenheim und Offenheim in den Herbstferien vom 7.-12. Oktober 2013 statt. Dann geht es nach Rom. Dort sind wir im Gästehaus der Heilsarmee untergebracht. Hin- und Rückreise werden vermutlich per Flugzeug erfolgen, innerhalb der Stadt sind wir mit Nahverkehrsmitteln unterwegs.

 

Weitere Informationen und Anmeldeformulare werden so bald wie möglich veröffentlicht. Wer mitfahren möchte, kann sich schon heute im Pfarramt Kettenheim melden, Telefon: 06731/ 43358, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.