Gnade sei mit Euch und Friede von Gott,

unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. A.

 

Liebe GD-Gemeinde,

 

wie oft höre ich von älteren Menschen

dass sie sich überflüssig fühlen, 

dass sie nicht mehr gebraucht werden,

weil sie nicht mehr so fit sind wie früher,

nicht mehr dasselbe leisten können

wie in den Jahren zuvor,

der Körper älter wird; die Kräfte nachlassen.

Der Aktionsradius wird kleiner.

 

Die Handgriffe des Alltags brauchen mehr Zeit.

Manche fühlen sich nutzlos,

wie eine Dampflok, die ausrangiert wurde,

abgestellt auf einem Nebengleis.

 

So fühlen sich viele im Alter,

sind mit sich und dem Leben unzufrieden.

 

Andererseits erlebe ich auch, 

dass die Älteren von den Jüngeren

noch gebraucht werden: beim Kinderhüten z.B.

wenn die KiTa Ferien macht,

die Kinder von der Schule abgeholt werden,

sind Opa und Oma unersetzlich.

Jedoch: Die meiste Zeit übernimmt die KiTa

die Betreuung der Kinder –

schon ab dem 1. Lebensjahr.

 

Großfamilien gibt es kaum noch.

Heute lebt jeder für sich.

Jung und Alt begegnen sich selten.

Kein Wunder also,

dass Ältere sich nicht mehr gebraucht fühlen.

Dabei kann es so wertvoll sein,

wenn Generationen miteinander Kontakt haben:

Menschen unterschiedlichen Alters

können sich bereichern,

sie können voneinander lernen,

wenn sie sich begegnen, füreinander Zeit haben,

dem anderen zuhören und von sich erzählen.

Die Weisheit und Erfahrungen des Alters

sind für die Jugend ein unschätzbarer Wert.

Und auch die Jüngeren können Ältere bereichern:

mit ihren Träumen, Hoffnungen,

Wünschen, Plänen.

Sie können ihre Zukunftsvision weitergeben

und auch von ihren Ängsten erzählen.

Und indem sie sie erzählen,

können Ältere ihnen Hinweise geben,

wichtige Erfahrungswerte mitteilen,

und vielleicht sogar Ängste nehmen.

 

Gespräche bereichern das Leben,

sie können wegweisend sein.

Wie wegweisend Gespräche sind,

davon erzählt der heutige Predigttext.

 

Wir finden diesen Text im Evangelium des Lukas,

Kap. 2. -- Ich lese die Verse 22-35:

 

Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen,

wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn:

»Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen«,

und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: »ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben«.

Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, 

und der heilige Geist war mit ihm. Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. Und er kam

auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als

die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist

nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern,

ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.“

Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.

Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: „Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird;

und auch durch deine Seele wird ein Schwert

dringen, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.“ – Gott, segne an uns dein Wort.

 

Liebe GD-Gemeinde, 

der Predigttext, den wir eben gehört haben,

beginnt mit einer ganz normalen Situation.

Für Juden zurzeit Jesu war es üblich,

dass Eltern mit ihrem erstgeborenen Sohn

zum Tempel nach Jerusalem reisen.

Dort wollen sie das Kind Gott weihen,

es heiligen – wie es heißt,

und die vorgeschriebenen Opfer bringen.

 

Maria und Josef sind in Jerusalem angekommen, sie haben den Tempelberg erreicht,

den Vorhof der Händler und Wechsler passiert,

an einer der Kassen die Tempelsteuer entrichtet,

ein Paar Turteltauben und zwei junge Tauben

zum üblichen Preis gekauft,

und nun wollen sie zum Hof der Frauen,

von wo aus Josef allein weitergeht,

um die Tiere den Priestern

zur Opferung zu bringen.

 

Gerade wollen sie einen Treffpunkt benennen,

als ein alter Mann auf sie zustürmt.

Maria und Josef kennen ihn nicht.

Schon lange hat Simeon

im Hof der Frauen gewartet,

alle, die vorbeikommen,

mit seinen Blicken taxiert.

 

Ob er ihn bemerken würde?

 

Simeon hat das sichere Gefühl,

dass er heute den Messias trifft.

Wer es ist, weiß er nicht.

Vielleicht wird er ihn gar nicht erkennen.

Seinen Verwandten, denen er davon erzählt hat,

haben ihn ausgelacht.

 

„Der Alte spinnt doch“, haben sie gesagt.

Doch er hat sich nicht entmutigen lassen.

Mit einer Sicherheit,

einer felsenfesten Überzeugung,

wie er sie vorher - von sich - nicht gekannt hat,

ist er gegangen.

Sollten die Jüngeren doch spotten.

Sie hatten keine Ahnung.

 

Simeon spürt, dass ihm etwas Besonderes passiert.

Dieses Gefühl war stärker

als das übliche Reißen und Ziehen in den Knochen

wenn das Wetter sich ändert.

Heute war ein besonderer Tag.

Vor langer Zeit schon

hatte Simeon eine Verheißung bekommen,

eine Prophezeiung von Gott.

Jemand hatte ihm gesagt,

dass er nicht eher sterben wird,

bis er den Messias sieht. Seitdem hat er gewartet.

Er weiß nicht, wieso er sich plötzlich sicher ist.

 

Seit dem Morgen ist er auf dem Tempelberg,

sieht hunderte an sich vorbeiziehen.

Der Mann, die Frau und das Kind

sind ein Anblick wie jeder andere auch.

Und doch ist plötzlich was anders.

Kaum hat er sie gesehen, kommt Freude auf.

Aufregung bricht sich Bahn.

Er spürt die Gewissheit,

die Anspannung in seinen Muskeln.

Mühsam nur kommt er in Bewegung.

Er hat lange gewartet.

 

So schnell wie sein Körper kann,

läuft er auf die Familie zu.

Schon im Gehen weiten sich seine Arme.

Lachen öffnet seinen Mund.

Seine Augen strahlen vor Freude.

Begeisterung und Erleichterung

brechen aus seinem Herzen heraus.

 

So kommt er auf Josef und dessen Familie zu.

Keinem anderen hätte Maria ihr Kind anvertraut.

Doch ehe sie - es sich - recht überlegt,

ehe sie weiß, ob es klug ist, -- lässt sie zu,

dass er ihr Kind aus ihren Armen

in seine Hände nimmt,

dass er es hochhält und ansieht,

und es dann in seine Arme legt,

um es sanft hin und her zu wiegen.

 

Und dann spricht er diese Worte,

Worte, die so ungewöhnlich sind,

wie sie sie noch nie gehört haben,

so fremd und seltsam, dass sie sich wundern:

 

„Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.“

Und zu Maria spricht er:

„Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird; -- und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.“

 

Liebe GD-Gemeinde,

durchbrochen ist der Alltag,

durchbrochen durch diese Begegnung.

 

Das Gewöhnliche begegnet dem Besonderen.

Der Himmel hat die Erde berührt: 

Eine Prophezeiung wird erfüllt,

eine andere wird gegeben.

 

In Jesus hat Simeon den Heiland erkannt.

Jetzt darf er in Frieden sterben.

Und wie Simeon eine Verheißung bekommen hat,

so darf er eine andere geben.

Er prophezeit Jesu Tod und Auferstehung,

und dass viele sich an ihm stoßen werden.

 

Heute wissen wir oder glauben zumindest,

dass auch diese Prophezeiung in Erfüllung geht.

Zu seinen Lebzeiten wird Jesus angefeindet.

Viele hat er mit seinem Verhalten provoziert:

Am Sabbat lässt er seine Jünger Ähren pflücken.

Ernten, Essen zubereiten am Sabbat –

das ist streng untersagt. Das verbietet das Gesetz,

die zehn Gebote, die Thora. -- Da heißt es doch:

„Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn.“


Jesus hat gegen dieses Sabbatgebot verstoßen,

er hat die Sonntagsruhe gestört. 

Am Sabbat heilt er Kranke.

Hinzukommt, dass er mit einem Selbstverständnis

durch die Lande zieht, das für viele unglaublich ist

Er nennt sich selbst Gottessohn.

Und er sagt, dass er den Tempel zerstören

und in drei Tagen wieder aufbauen wird.

 

Den Priestern reicht’ s, das Maß ist voll.

Sie überlegen, wie sie ihn töten.

„Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird;“

 

Liebe GD-Gemeinde,

 

auch Maria wird eine Verheißung gegeben,

ein Wort, das sich im Laufe ihres Lebens erfüllt:

„und auch durch deine Seele wird ein Schwert

dringen, damit vieler Herzen Gedanken offenbar

werden.“

Und tatsächlich: was prophezeit wurde, geschieht:

Maria steht am Wegesrand,

als Jesus sein Kreuz trägt.

 

Von Ferne muss sie zusehen,

wie Soldaten ihn ans Kreuz schlagen. 

Sie ist dabei, als ihr Sohn stirbt,

als Jünger seinen Leichnam vom Kreuz nehmen.

Sie begleitet ihn auf dem Weg in sein Grab.

Sie erlebt den Tod ihres Kindes.

Schon früher hat er ihr Kummer gemacht.

Als sie ihn sehen will, brüskiert er sie,

weist sie von sich, stößt sie vor den Kopf,

benimmt sich wie ein Pubertierender:

 

Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir.

Und er antwortete ihnen und sprach:

„Wer ist meine Mutter und meine Brüder?“

Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: „Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willlen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“

 

Jesus verleugnet seine Familie.

Dieses Verhalten ihres Sohnes,

seine radikale, kompromisslose Art,

wenn es um Glaubensüberzeugung ging,

hat sie oft in Sorge gebracht.

Eine Zeit lang hat sie ihn für verrückt gehalten.

Erst im Laufe der Zeit lernt Maria,

seinen Worten zu vertrauen,

seinem Sendungsbewusstsein

Glauben zu schenken.

Sie lernt, was es heißt,

in ihm den Messias zu sehen,

zu begreifen, dass er der Gesalbte Gottes ist,

der Heiland, als den Simeon ihn bezeichnet.

 

Sie erlebt auch, dass später sein Grab leer ist.

Sie hört von seiner Auferstehung.

Eigentlich hatte sie schon früher

eine Verheißung bekommen. Aber die war anders.

Damals vor der Geburt, bevor sie schwanger war,

war ein Engel zu ihr gekommen und hatte gesagt:

„Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.”

 

Das klang positiver als Simeons

„Fall und Aufstieg“.

Aber Maria kann Gott vertrauen,

so wie Simeon auch.

 

Und sie lässt sich führen.

Sie lässt zu, dass Generationen einander begegnen,

dass Simeon ihr Kind hält,

dass sie sich bereichern und voneinander lernen, mitten auf dem Tempelberg.

 

Wo Menschen sich so begegnen,

Maria, Simeon und das Kind,

da berührt der Himmel die Erde,

da wird das Leben besonders,

wird es von Verheißung und Segen erfüllt.

 

Wir können uns vorstellen,

auch wenn die Erzählung von Simeon hier endet,

dass er am selben Tag noch heimkommt,

sich in sein Bett legt und in Frieden stirbt.

Alt und lebenssatt ist er geworden.

Die Prophezeiung hat sich an ihm erfüllt.

 

Simeon stirbt dankbar.

 

Indem drei Generationen sich begegnen,

aufeinander achten und hören, 

erfahren sie vom Fall und Aufstieg des Messias,

vom Licht der Völker und Heiden,

dem Zeichen für Israel.

 

Ich wünsche mir,

dass auch wir - Menschen so begegnen,

dass Jüngere die Älteren hören,

ihr Wissen und ihre Weisheit ernst nehmen,

weil in der Lebenserfahrung der Alten

viel Reichtum für die Jüngeren steckt,

Einsicht und Erkenntnis, aus der wir lernen.

 

Natürlich ist es auch wichtig,

dass jeder seine Erfahrungen macht.

Doch: Wir müssen nicht wie ein leeres Gefäß immer bei Null beginnen.

 

Wir dürfen auf das Wissen der Älteren zurückgreifen,

aus ihren Erfahrungen lernen.

So wird aus dem Lernen kein Hamsterrad,

sondern eine Spirale, wo das Wissen fortschreitet und weiterführt.

Ich wünsche mir, dass auch die Alten lernen,

dass sie lernen,

dass ihre Erfahrungen wertvoll sind,

dass sie von Jüngeren gebraucht werden,

weil sie einen Weg hinter sich haben,

der den Jüngeren noch bevorsteht.

 

Und wie oft erlebe ich, dass Jugendliche zuhören,

dass sie bereit sind,

sich auf die Erfahrung der Älteren einzulassen,

mehr, als die Älteren oft von ihnen denken.

 

Darum meine ich auch:

Ihr Älteren, traut den Jüngeren mehr zu!

Wie oft habe ich erlebt,

dass die pensionierte Pfarrerin

Gertrud Völkel aus Alzey

Jugendlichen von ihren Erinnerungen

an die Nazidiktatur erzählt hat.

 

Und sie ist nie müde geworden,

ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Erkenntnis  

an die jüngere Generation weiter zu geben.

Und die Jugendlichen haben zugehört.

Ich hoffe, dass sie auch aus den Geschichten gelernt haben.

 

Dass sie gelernt haben, wie wichtig es ist,

und was es bedeutet zu sagen: Nie wieder Krieg!

Nie wieder Diktatur und Konzentrationslager!

 

Nehmen wir die Worte

und Verheißungen der Älteren ernst,

und lernen wir daraus,

und lernen wir auch, wieder miteinander zu leben.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

Amen.