Vorwort
„Haben Sie Angst?“ fragte mich die Mitarbeiterin einer Zahnarztpraxis. Ich saß auf dem Behandlungsstuhl, der Arzt war noch nicht im Zimmer. Die Frage kam unvermittelt aus dem Off gesprochen in mein Ohr. Auf das plötzliche „Haben Sie Angst?“ hätte ich spontan sagen können: „Bis eben nicht. Jetzt schon.“ Stattdessen antwortete ich zögernd: „Nein, eigentlich nicht. Warum?“ „Wir bieten auch Hypnose vor der Behandlung an.“, klang es eifrig. Ich lehnte ab. Mit manchen Ängsten müssen wir leben und lernen, mit ihnen umzugehen, auch mit den unnötig herbeigeführten.
Durch das faktenlose Schüren von Angst können Wahlen gewonnen werden, das haben wir mit Blick auf die USA gerade gesehen. Doch Angst ist kein neuzeitliches Phänomen, es gehört mit zu unserem Dasein. In einem Online-Artikel erklärt Professorin Katharina Domschke, ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg: „Angst ist etwas ganz Normales. Sie gehört neben Freude, Ekel, Wut, Überraschung, Trauer und Verachtung zu den sieben Grundemotionen.“
Weiterhin erläutert die Professorin: „Angst ist überlebensnotwendig, denn sie dient als Alarmsystem – sie warnt unseren Körper vor Gefahren. Wer beispielsweise nah an einen Abgrund herantritt, bekommt in der Regel Angst. Das Gefühl vermittelt die Botschaft: Achtung, hier lauert Gefahr! Angst macht unseren Körper und Verstand wacher, dadurch können Menschen die sogenannte Fight-, Flight- oder Freeze-Reaktion zeigen – auf Deutsch Kampf-, Flucht- oder Starre-Reaktion. Je nachdem, in welcher Situation sich ein Mensch befindet, wählt er die Reaktion, die ihm am sinnvollsten erscheint, um zu überleben.“ Quelle: https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/was-ist-angst-und-koennen-aengste-auch-hilfreich-sein/
Angst schützt also davor, dass wir unvorsichtig werden oder übermütig sind. Sie hilft, unser Leben abzusichern. Dieses Gefühl ist an sich nichts Schlechtes. Dennoch kann es sein, dass es zu viel wird, wir es als Belastung empfinden. Das gilt im Blick auf die Welt, die politische und wirtschaftliche Lage in unserem Land wie für jeden und jede von uns persönlich. Gerade in der Zeit vor Weihnachten wünschen sich viele Ruhe und Besinnlichkeit, Frieden, ein harmonisches Zusammensein im Großen wie im Kleinen.
Ob es gelingt, liegt manchmal an uns, da sind wir aktiv mitbeteiligt. Etwa, wenn sich der Wunsch nach einem friedlichen Weihnachtsfest als überhöht oder utopisch erweist. Denn Menschen, die sich die meiste Zeit des Jahres nicht begegnen, weil jeder mit sich und seiner Alltagsbewältigung beschäftigt ist, müssen beim Fest miteinander umgehen. Wenn sie dann für einige Stunden auf engstem Raum beisammen sind, kann es Streit geben. Harmonie lässt sich nicht auf Knopfdruck herbeiführen. Am besten scheint es mir, wenn wir unsere Erwartungen nicht allzu hoch setzen, dann klappt es auch mit dem Weihnachtsfest. Bei Konflikten, die außerhalb unseres Einflusses liegen, fühlen wir uns oft ohnmächtig. Was wir nicht mit beeinflussen können, macht unsicher.
Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, die diesen Oktober veröffentlicht worden ist, besagt, dass Ängste sich hierzulande seit einiger Zeit verschoben haben. Seit 2022 nahm die Furcht vor internationalen kriegerischen Konflikten sprunghaft zu. Auch die Sorge vor einer Wirtschaftskrise stieg leicht an. Die Angst vor den Auswirkungen des Klimawandels hat etwas abgenommen, zählt aber in der Wahrnehmung nach wie vor zu den größeren Bedrohungen. Andere Studien, die zur selben Zeit veröffentlicht wurden, geben andere Gründe für die Sorgen der Deutschen an.
Gleich welcher Studie wir vertrauen, Menschen leben in Angst. Dieses Gefühl gehört zum Menschsein dazu. Am besten lernen wir, es als (über-)lebensnotwendig anzuerkennen. Eine Frau, die ebenfalls in größter Sorge war, heißt Maria. Die Evangelien erzählen von ihr. Der Evangelist Lukas berichtet, dass Maria unehelich schwanger geworden war. Eine ehelose Schwangerschaft reichte in der Gesellschaft, in der Maria lebte, aus, um sie und das Kind in ihrem Bauch zu töten. Es bestand die Gefahr, dass man sie gesteinigt oder in einem Brunnen ertränkt hätte. Als sie erfährt, dass sie schwanger ist, vertraut sie sich in ihrer Situation Gott an:
Elisabeth war im sechsten Monat schwanger, als Gott den Engel Gabriel nach Nazareth schickte, einer Stadt in Galiläa. Dort sollte er eine junge Frau namens Maria aufsuchen. Sie war noch unberührt und mit Josef, einem Nachkommen von König David, verlobt. Der Engel kam zu ihr und sagte: »Sei gegrüßt, Maria! Der Herr ist mit dir! Er hat dich unter allen Frauen auserwählt.« Maria erschrak über die Worte des Engels und fragte sich, was dieser Gruß bedeuten könnte. »Hab keine Angst, Maria«, redete der Engel weiter. »Gott hat dich zu etwas Besonderem auserwählt. Du wirst schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen. Jesus soll er heißen. Er wird mächtig sein, und man wird ihn Sohn des Höchsten nennen. Gott, der Herr, wird ihm die Königsherrschaft seines Stammvaters David übergeben, und er wird die Nachkommen von Jakob für immer regieren. Seine Herrschaft wird niemals enden.« »Wie soll das geschehen?«, fragte Maria den Engel. »Ich habe ja noch nie mit einem Mann geschlafen.«
Der Engel antwortete ihr: »Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird sich an dir zeigen. Darum wird dieses Kind auch heilig sein und Sohn Gottes genannt werden. Selbst Elisabeth, deine Verwandte, von der man sagte, dass sie keine Kinder bekommen kann, ist jetzt im sechsten Monat schwanger. Sie wird in ihrem hohen Alter einen Sohn zur Welt bringen. Gott hat es ihr zugesagt, und was Gott sagt, das geschieht!« »Ich will mich dem Herrn ganz zur Verfügung stellen«, antwortete Maria. »Alles soll so geschehen, wie du es mir gesagt hast.« Darauf verließ sie der Engel. (Lukasevangelium Kapitel 1, die Verse 26-38)
Tatsächlich geht die Geschichte der Schwangeren gut weiter: Josef, ihr Verlobter, nimmt Maria zur Frau, obwohl er weiß, dass das Kind in ihrem Bauch nicht von ihm ist. So rettet er beiden das Leben. Damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Lukas berichtet von einem strapaziösen Weg, auf den sich die Hochschwangere mit ihrem Ehemann vor der Geburt machen muss. Mit Sorge blicken beide auf den weiten Weg, der vor ihnen liegt, und auf die bevorstehende Geburt (Lukasevangelium Kapitel 2).
Matthäus erzählt, wie ein Machthaber und Despot versucht, das Neugeborene zu finden, um es zu töten. So gerät die junge Familie wieder in eine Angst machende Situationen. Und wieder darf sie erleben, dass Gott es gut mit ihr meint, dass Gott seinen Menschenkindern hilft. Gottes Beistand trägt die junge Familie durch die unsichere Situation, gibt ihr Halt. Die Angst von Maria und Josef wurde mit Sicherheit kleiner. Im Vertrauen auf Gott, dass seine Zusage gilt, machen sich die Eltern mit ihrem Kind gemeinsam auf den Weg (Matthäusevangelium Kapitel 2).
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, dass Sie sich in dieser Zeit mit all Ihren Sorgen und Ängsten vertrauensvoll an Gott wenden können. Im Advent kommt Gott uns entgegen. An Weihnachten ist er uns nahe. Seit Jesus Christus ist Gott in unserer Welt. Gott kommt, um auch bei Ihnen zu sein. Das lasst uns feiern! Lasst uns Gott mit seiner Liebe und Menschenfreundlichkeit in unseren Häusern und Herzen willkommen heißen!
Ein von Gott gesegnetes und von seiner Liebe gestärktes Menschsein
wünscht Ihnen Ihre Gemeindepfarrerin Anja Krollmann